Kurz vor Kriegsende, im Dezember 1944, wurde Benjamin "Ben" Helfgott als jüdischer Zwangsarbeiter nach Schlieben verlegt. Die Deutschen waren seit Monaten dabei, das Getto von Piotrkow, in dem der damals 15- jährige Pole lebte, aufzulösen. Wenn auch die heutigen Gegebenheiten in Berga bei dem seit dem Kriegsende in England lebenden Helfgott kaum noch Wiedererkennungseffekte hervorrufen, so ist ihm doch anderweitig genügend Erinnerung an die relativ kurze Zeit in dem Außenlager des Konzentrationslagers (KZ) Buchenwald geblieben.
"Ich werde Schlieben nie vergessen", sagt der alte Mann, der gemeinsam mit seinem Sohn Michael nach Deutschland gekommen ist und zuvor die Feierlichkeiten aus Anlass der Befreiung des KZ Buchenwald vor 67 Jahren besuchte. Er habe dort eine völlig neue Angst kennengelernt, berichtet er. Sei es in der Zeit im Getto die ständig präsente Angst, jeden Augenblick erschossen werden zu können, so habe er in Schlieben in ständiger Angst gelebt, vor Hunger zu sterben. "Ich konnte nicht mehr denken. Lediglich an Essen", hat sich diese Zeit fest in sein Gedächtnis gebrannt.
Für Sohn Michael eröffnet sich damit kein neuer Blick in das Leben seines Vaters: "Er spricht auch zu Hause viel über die Zeit des Krieges, ist sehr aktiv, damit sie nicht in Vergessenheit gerät." Ben Helfgotts Erinnerungen sind ein wichtiger Teil eines Buches, das auch auf Deutsch erschienen ist: "Sie waren die Boys. Die Geschichte von 732 jungen Holocaust-Überlebenden". Der britische Historiker Martin Gilbert hat eine der letzten Chancen genutzt, Augenzeugenberichte über den Holocaust aus erster Hand zu bekommen – noch dazu von einer so großen zusammenhängenden Gruppe.
Auch die Mitglieder des Gedenkstättenvereins sind an solchen Augenzeugen interessiert und deshalb sehr froh, dass es mit dem Besuch des Engländers geklappt hat. Vor zwei Jahren wollte er schon einmal kommen. Damals wurde der Flug durch die Aschewolke des gerade ausgebrochenen Vulkans in Island verhindert. "In Archiven können wir später immer noch auf Informationssuche gehen. Jetzt ist es wichtig, die wenigen noch lebenden Zeitzeugen zu befragen", sagt Vorsitzender Uwe Dannhauer. Dessen Tochter Stefanie hatte vor fünf Jahren den ersten schriftlichen Kontakt zu Ben Helfgott hergestellt. Er ist einer von insgesamt sieben Überlebenden des Bergaer Lagers, mit denen die Vereinsmitglieder vor Ort ins Gespräch kommen konnten.
Als er das Lied von den "Drei Lilien" anstimmt, das er immer singen musste, wenn es zur Arbeit ging, läuft allen eine Gänsehaut über den Rücken. Helfgott ist der Weg vom Lager bis zur Halle, in der er die Zünder zu den Panzerfäusten packen musste, als ein sehr langer in Erinnerung geblieben. In Wirklichkeit sind es nur einige Hundert Meter. "Der Hunger hatte die Arbeiter derart ausgezehrt", weiß Dannhauer.
Auch diesmal zehrt der Weg an der Kraft des Seniors. Immer wieder drängen neue Erinnerungen in sein Bewusstsein. Sie sind für Dannhauer und sein Team von unschätzbarem Wert. Viel zu schnell heißt es wieder Abschied nehmen. Aber man bleibt im schriftlichen Kontakt.
Sylvia Kunze |