„Jetzt bin ich hier als ein freier Mann“, sagt Berek Gomolinski und lächelt, als seine Familie von Uwe Schwarz und Uwe Dannhauer vom Förderverein „Gedenkstätte Schlieben-Berga“ herzlich begrüßt wird. Niemand, auch nicht Michael und Nancy, ahnt, dass der 87-Jährige in den folgenden Stunden nach so langer Zeit erstmals Einzelheiten aus seinen Jahren als „KZ-Häftling Nr. 94765“ erzählen wird – oft mit tränenerstickter Stimme.
Im Dezember 1944 trifft der 20-jährige Berek mit dem letzten großen Gefangenentransport im KZ-Außenlager von Buchenwald, in Schlieben-Berga, ein. Unter den 500 Neuankömmlingen sind auch die Häftlinge mit den Nummern 94764 und 94763 – Vater und Bruder. Was die drei Gomolinskis noch nicht wissen: Sowohl die Mutter als auch drei der vier Schwestern wurden von der SS nahe der Heimat in den Wald getrieben und erschossen. Auch der Vater wird das Martyrium nicht überstehen.
Er muss, weil er nicht stark genug ist, um für den Rüstungskonzern Hasag Panzerfäuste in Schlieben-Berga zu produzieren, zurück nach Buchenwald und weiter per „Invalidentransport“ nach Bergen-Belsen. Dort stirbt er kurz vor der Befreiung.
Auch von Bruder Jankel wird Berek getrennt, als dieser im Februar 1945 ins Außenlager Flößberg kommt, wo die Hasag ebenfalls Häftlinge beschäftigt. Dort verliert sich seine Spur. Recherchen lassen vermuten, dass er einen Todesmarsch nach Mauthausen nicht überlebte.
Berek übersteht den Holocaust vor allem, weil er kräftig genug ist und gut tischlern kann. Nach der Befreiung findet er seinen Schwager in Theresienstadt und dessen Frau, die letzte seiner Schwestern, in Bergen-Belsen. Sie stirbt Anfang 1946 nach der Geburt ihres Sohnes.
Nach 66 Jahren sitzt Berek Gomolinski nun in der Gedenkstätte von Schlieben-Berga. Der Raum war einst das Büro der SS. Der Mann erzählt nicht nur, sondern fragt neugierig nach. Das Schicksal hat aus ihm keinen verbitterten Menschen gemacht. Er lacht nur all zu gern.
Doch die Gegenwart des Ortes sowie die Herzlichkeit der deutschen Gastgeber brechen etwas in ihm auf. So lässt er teilhaben an sehr persönlichen Erlebnissen, die er bisher sorgsam verschwiegen hat. „Ich wollte meine Familie nicht belasten“, sagt er, und: „Nachts kommen immer noch die Tränen.“
Einige davon hat Christin, die große Liebe seines Lebens, ganz sicher mitbekommen. Gemeinsam mit ihr baut er sich zu Beginn der 50er-Jahre in Amerika ein neues Leben auf, eröffnet eine Tischlerei und betreibt diese sehr erfolgreich bis zum Jahr 2003. Zu seinen Kunden zählte auch Filmemacher Steven Spielberg („Schindlers Liste“).
Doch Christin stirbt, als die Söhne elf und 16 Jahre alt sind. Er blickt jedem in der Runde ins Gesicht und sagt: „Das war und ist hart, doch das Leben geht weiter – und ich musste endlich auch hierher kommen.“
Gabi Zahn |