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LR-Online - 29.10.2014

Erinnerungen an die große Explosion in Berga

Auch 70 Jahre danach ist der schreckliche Vorfall, der 97 Todesopfer forderte, nicht vergessen

Berga In der Nacht zum 12. Oktober 1944 kommt es auf dem Werksgelände der HASAG in Schlieben-Berga zu einer großen Explosion, bei der ein Großteil der Werksanlagen zerstört wird. Es ereigneten sich mehrere Explosionswellen: die erste Explosion gegen 0.30 Uhr.

Verein KZ-Außenlager Schlieben-Berga eV
Reste der ehemaligen Gießerei.
Foto: Verein

Es folgten danach etwa noch drei Explosionen, die letzte gegen 5.30 Uhr. Sie fordern 96 Todesopfer unter den Häftlingen und ein Todesopfer vom Wach- bzw. Zivilpersonal. 17 verletzte Häftlinge werden angeblich in den KZ-Krankenbau nach Buchenwald überführt. Der Verein "KZ-Gedenkstätte Schlieben-Berga" hat dazu Erinnerungen von Zeitzeugen zusammengetragen: 

Berek Rothenburg erinnert sich daran wie folgt (ging dabei aber von einem Bombenangriff aus):

"… ich wurde verletzt, in die Luft geschleudert. Alles, die ganze Fabrik stand in Flammen. Als wir vom Gelände flüchten wollten, standen überall die Wachen und nur Deutsche durften das Areal verlassen. Wir sagten ihnen, sie sollen uns passieren lassen, sollen sich doch umschauen, alles brennt! Im Endeffekt rannten sie mit uns zusammen in den Wald.

Wir erreichten ein kleines Dorf, ich war am Kopf verletzt und hatte Schnitte im Gesicht. Ein deutscher Bauer sah mich, brachte mich in das Gebäude. Die Bewohner wuschen meine Wunden und verbanden mich. Sie wussten, dass ich Jude und ein KZ-Häftling war. Sie haben mich so gut verbunden, dass von meinem Gesicht nur noch Mund und Nase zu sehen waren. Nach einiger Zeit kam Polizei oder SS und sammelte uns ein. Wir wurden zurück in das Lager gebracht.

Es fand eine Zählung der Gefangenen statt, die Deutschen lasen vor, wer getötet wurde oder als vermisst galt. Das dauerte lange, die Deutschen redeten und redeten. Dann sagten sie, die Verletzten werden nach Buchenwald in ein Krankenhaus gebracht. Das war logisch, gehörte doch unser Lager zu Buchenwald. Sie sagten, nach der Heilung kommen die Männer wieder nach Schlieben zurück. Ich habe den Deutschen geglaubt, ich sah schon die Fahrzeuge, welche die Verletzten abholen sollten. Es bildete sich eine Warteschlange der Verletzten, ich stand am Ende und wollte erst aufsteigen so Platz auf dem Lkw wurde. Es wurde aber kein Platz frei und ich blieb stehen. Sie luden die kranken Leute auf. Schließlich gelangte ich als der Letzte auf das Fahrzeug.

Dann sah mich ein Aufseher, ein Gefreiter oder Unteroffizier, ich war kräftig und nicht bis auf die Haut abgemagert. Er sagte zu mir: ‚Du bist nicht verletzt.' Ich erwiderte, er soll sich doch meinen Kopf und mein Gesicht anschauen. Der Aufseher sagte nochmals, dass ich nicht krank sei, er ließ sich auf kein weiteres Gespräch ein und riss mir die Verbände vom Kopf, von den Augen, dem Gesicht. Er stieß mich vom Wagen herunter, ich fiel zu Boden. Danach fuhren die Lkw davon.

Ich kann nicht sagen, wohin sie fuhren, nicht weiter als zwei bis drei Meilen, sie erschossen dann alle Verletzten. Sie erschossen sie, anstatt sie in das Hospital zu bringen. Ich hatte Glück gehabt."

Chaim Ajzen erzählt, wie er die Explosion erlebte:

"Ich hatte gerade die erste Kiste abgeladen, als es eine große Explosion gab und ich mehrere Meter durch die Luft geschleudert wurde … Ich rappelte mich auf und erkannte den Ort nicht wieder. Die gesamte Fabrik war in die Luft geflogen und ich der einzige Überlebende. Nur ein paar Häftlinge, die anderswo eingesetzt waren, überlebten ebenfalls … Als ich ins Lager zurückkam, waren alle auf den Beinen und versuchten zu entkommen. Die Wucht der Explosion hatte auch die Baracken zerstört und einige Insassen waren verletzt oder getötet worden …"

Menasze Hollender berichtet später über das Ausmaß der Explosion:

"Maschinenteile und Teile von Zügen, wie Wagenräder, lagen in einer Umgebung von mehreren Hundert Metern herum ... Das Krankenlager war überfüllt, es fehlte an Bandagen und Verbandsmaterial".

Gisela Hauß aus Berga erinnert sich 2009 an dieses Ereignis:

"… sechs Jahre war ich alt. Es gab einen fürchterlichen Knall. Die Fenster sprangen auseinander, wurden nach innen gedrückt. Panik! Ich hatte Angst, sah draußen in der Dunkelheit plötzlich einen knallroten Feuerball. Mein Großvater rannte aus dem Haus, brüllte, dass wir drinnen bleiben und nur nichts anfassen sollten. Die Stromleitungen waren damals noch am Giebel verlegt und an den Leitungen entlang sprühten Funken. …In der Erinnerung geblieben ist mir auch der Tag danach. Als es hell wurde, sah ich das Chaos. Und Menschen in Häftlingskleidung mit halbverbrannten Gesichtern. Sie wurden irgendwohin gebracht, vielleicht zum Arzt …"

Auch Heinz Zeise, als Schießmeister verantwortlich für die Sicherheit auf der Schießbahn, berichtete später über die Explosion:

"… Am 11. Oktober 1944 kam es nachts zu einer gewaltigen Explosion, der noch zwei oder drei bis gegen 5.30 Uhr folgten. Dabei wurde die Hauptproduktionsstätte, die Gießerei, vollkommen zerstört. Die Explosion war so heftig, dass z. B. eine Waggonachse 100 m weit geschleudert wurde. Es waren 100 Juden und ein Deutscher als Opfer zu beklagen. Die jüdischen Häftlinge, die den größten Anteil an den ausländischen Arbeitskräften hatten, stoben ängstlich in alle Richtungen davon. Es ist nie so recht geklärt worden, wie diese Detonation zustande gekommen ist."

Über Ursachen und den Hergang der Explosionen gibt es nur Vermutungen bzw. Behauptungen. Als Hauptursache wird Unachtsamkeit oder Fehlbedienung bei den Arbeiten mit den Chemikalien in der Gießerei aufgrund Übermüdung oder durch Vorarbeiter bzw. Aufsichtspersonal betriebene Arbeitshetze vermutet aber auch Sabotage durch Häftlinge. Mit der Untersuchung des Explosionsunglücks wurde Generalleutnant Bertram beauftragt. Ergebnisse sind nicht bekannt geworden.

Mit dem Wiederaufbau wird mit großer Intensität "schon am nächsten Tag nach dem Löschen des Feuers …" begonnen, wie sich Menasze Hollender erinnert:

"Mit Stöcken und Peitschen in der Hand liefen die jungen SS-Leute auf dem Bau herum … jeder Abmarsch aus diesem Arbeitslager endete mit dem Wegtragen von erschöpften Genossen auf Brettern … Die Wohnbaracken mussten neu aufgebaut werden, die umgestürzten Wände und Dächer schützten uns nicht vor dem kalten Herbst und Regen … (während der) Neubau der Fabrik … schnell vorangekommen (ist)."

Lechjzor Rochmann berichtet dazu:

"Es wurden die Verschütteten geborgen und eine Kommission untersuchte, warum es zur Explosion gekommen war. Aus Berlin kamen 150 neue SS-Leute in das Lager. In brutaler Arbeit, Tag und Nacht, 15 - 16 Stunden ohne Pause wurde eine neue Fabrik errichtet. Wieder geschah alles im Laufschritt, ständig wurden wir mit Gummiknüppeln geschlagen."

Bereits zwei Tage nach der Explosion werden 226 KZ-Häftlinge, überwiegend Facharbeiter aus Bauberufen, aus dem KZ Buchenwald zum Wiederaufbau zur Verfügung gestellt, die aber am 6.11.1944 fast alle schon wieder nach Buchenwald "rücküberstellt" werden.

Parallel dazu wird die Produktion innerhalb kürzester Zeit wieder aufgenommen, und zwar unter freiem Himmel, wie H. Zeise berichtet:

"Die Produktion wurde bereits nach zwei Tagen im Freien und unter Zelten wieder in Angriff genommen. Es begann eine rege Bautätigkeit im weiter gelegenen Areal. Die Bauten blieben meist unvollendet."

Über eine weitere Explosion, die jedoch zeitlich nicht genau eingeordnet werden kann, berichtete H. Zeise:

"Blindgänger, auch Panzerfäuste, sowie die verschossenen Hülsen sammelte man auf und lagerte sie getrennt im Freien. Durch Unachtsamkeit kamen die Blindgänger zur Explosion, wobei alle 49 Mann des Sammelkommandos den Tod fanden. Es waren Juden aus dem Werks-KZ."

 

 
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