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Lausitzer Rundschau - 27.04.2011

Weil sich Worte mit Leben füllen sollen

Schlieben-Berga Langsam geht die 17-jährige Marion Hennequin aus Limoges mit einem Blumengebinde in der Hand zum Denkmal für die Opfer des KZ in Schlieben-Berga. An ihrer Seite ist Anne Savigneux aus Grenoble. Die ältere Dame besucht den Ort, von dem ihre verstorbene Mutter und deren Schwestern sagten: „Er war die Hölle.“

Die beiden Frauen, zwischen denen Generationen liegen, gehören zu den 20 Teilnehmern einer Erinnerungsreise, die über die Organisation „Amicale de Ravensbrück“ unterwegs sind, um Stätten aufzusuchen, an denen französische Gefangene während der Zeit des Faschismus inhaftiert, gefoltert und ermordet wurden. Geleitet wird sie von Francoise Marchelidon aus Tours. Sie ist die Tochter von Deportierten. Ihr Vater war in Sachsenhausen, die Mutter in Ravensbrück inhaftiert. Beide haben überlebt.

Forum für Überlebende

Die Mutter hatte nach dem Krieg „Amicale de Ravensbrück“ mit aufgebaut und damit allen Überlebenden und deren Angehörigen ein Forum geschaffen. Nach ihrem Tod übernahm Francoise die Arbeit und führt sie seitdem weiter, bezieht junge Leute in die Arbeit ein. Deshalb besteht die Reisegruppe, die vor Ort von Uwe Dannhauer, dem Vorsitzenden des Vereins KZ-Gedenkstätte Schlieben-Berga, herzlich begrüßt und begleitet wird, aus Teilnehmern, die zwischen 14 und 90 Jahren alt sind.

Die Jüngeren sind Schüler wie Marion, die sich an Forschungsarbeiten über die Résistance und die Zeit des Nationalsozialismus beteiligen. Andere wollen als Kinder und Enkel von Deportierten das Schicksal ihrer Vorfahren nachvollziehen. Die beiden Ältesten in der Gruppe, Simone Gournay und Monique Hesling, sind selbst Zeitzeugen. Beide Frauen waren Mitglieder der Résistance, wurden als Jugendliche verhaftet und schließlich nach Ravensbrück verschleppt.

Sie erzählen viel über die Solidarität der Frauen untereinander, verschweigen auch den Hunger und die Repressalien nicht. „Ich kann nicht hassen, aber auch nicht verzeihen“, sagt Monique Hesling. Immer wieder sucht sie Gespräche mit Menschen aus Deutschland, nicht um anzuklagen, sondern um zu erinnern und zu mahnen. Diesmal sind auch Tochter, Schwiegersohn und Enkelin mit dabei.

In Schlieben-Berga können die Gäste aus Frankreich als erste Besucher die künftige Gedenkstätte besuchen. Am 30. April soll sie offiziell eröffnet werden. Französische Übersetzungen der dort gezeigten Dokumente existieren noch nicht. Deshalb sind Dolmetscherin Ines Wuschek aus Berlin und Uwe Dannhauer während der Besichtigung und auch beim Rundgang über den zugänglichen Teil des früheren Lagergeländes mit der Hasag-Panzerfaustfabrik dicht umringt von der Gruppe.

Was sie sehen und erfahren, berührt die Besucher sichtlich: Erhalten geblieben sind unter anderem die Munitionsbunker mit ihren rostigen Türen und Überreste der Gebäude, in denen Häftlinge ohne Schutzkleidung mit giftigen Chemikalien Munition für den Krieg herstellen mussten. „Nur wenige Monate war das auszuhalten, dann wurden diese Menschen nach Buchenwald abtransportiert, und es kam Nachschub. Das KZ existierte als solches vom Sommer 1944 an bis zum April 1945. Am 19. Juli 1944 wurden allein 998 weibliche Zwangsarbeiter von Ravensbrück hierher gebracht, mindestens 217 Menschen kamen zu Tode“, erklärt Dannhauer. Ines Wuschek stockt mitunter beim Übersetzen die Stimme. Betroffenheit ist spürbar. Manchmal bleibt jemand zurück, verharrt schweigend.

Wissen, was einst geschah

Marion Hennequin gibt zu verstehen: „Ich bin hier, weil sich die Begriffe, von denen ich bisher hörte, für mich mit Leben erfüllen sollen. Damit ich weiß, was nie wieder geschehen darf.“ Das junge Mädchen schaut auf den lockeren Waldboden, sieht die aufblühenden Bäume und dazwischen die Ruinen: Fast auf den Tag genau vor 66 Jahren, Ende April 1945, ging der Schrecken in Schlieben-Berga, in Ravensbrück und in den anderen KZ-Lagern zu Ende.

Aus Gesprächen mit Simone, die im Rollstuhl nur einen Teil der Besichtigung begleiten konnte, weiß sie, dass das Grauen in den Träumen der Überlebenden geblieben ist. „Ich muss immer wieder an diese Orte zurück. Ich muss mit den Jüngeren reden“, sagt die hochbetagte und noch immer sehr engagierte Frau.

Anne Savigneux, die neben Marion lange am Denkmal verharrte, musste die Reise abbrechen. Aus Frankreich erreichte sie die Nachricht vom Tod ihres Vaters.

Gabi Zahn


Die Schülerin Marion Hennequin legt ein Blumengebinde am Denkmal nieder. Anne Savigneux verharrt schweigend daneben. Ihre Mutter hat die „Hölle von Schlieben-Berga“ überlebt. Foto: Gabi Zahn
 
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