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LR-Online - 30.04.2014

In der "Hölle" ein Licht angezündet

Sonja Berger besucht früheres KZ-Außenlager Schlieben-Berga, wo ihr Vater einem Pianisten die Hand rettete

Schlieben-Berga Hunderte Kilometer tourt die 85-jährige Sonja Berger aus Niedersachsen mit ihrer Familie ins Brandenburgische nach Schlieben-Berga. Hier, im früheren KZ-Außenlager von Buchenwald, hat ihr Vater Ernst Staller von 1941 bis Kriegsende im Dienste des Reichsluftfahrtministeriums Munitionsgeschosse erprobt. Inmitten von Unmenschlichkeit gegenüber Häftlingen und Zwangsarbeitern zeigt er jedoch Menschlichkeit. Er rettet die Finger und das Leben von Marian Filar. Der junge Mann aus Polen wird ein weltberühmter Pianist.

Verein KZ-Außenlager Schlieben-Berga eV
Sonja Berger (l.) ist mit ihrer Familie nach Schlieben-Berga gekommen. Uwe Dannhauer (r.) und Jürgen Wolf (3.v.r.) begleiten sie durchs frühere Lager, wo ihr Vater arbeitete – und Gutes tat.

Die Hauptpersonen leben nicht mehr. Ernst Staller, 1900 in Wermelskirchen geboren, wird 69 Jahre alt. Marian Filar, 1917 als jüngstes von sieben Kindern eines jüdischen Vaters und einer deutschen Mutter in Warschau geboren, verstirbt 2012.

Bereits mit sechs Jahren gibt der Junge sein erstes Konzert. Er gilt als Wunderkind, beendet 1941 sein Studium am Warschauer Konservatorium mit "Summa cum laude". Als die Nazis in polnischen Städten wüten, beteiligt sich der angehende Starpianist 1943 mit Bruder Joel am Warschauer Aufstand. Beide werden verhaftet. Ihre Eltern und die anderen Geschwister landen in den Gaskammern von Treblinka.

"In die Hölle" gekommen

Marian und seinem Bruder steht eine "Spezialbehandlung" bevor – im Steinbruch des KZ Majdanek. Körperlich fast am Ende kommen beide im August 1944 über Buchenwald nach Schlieben-Berga, "in die Hölle", wie sie erfahren. Hier müssen Gefangene für den Rüstungskonzern Hasag ohne jegliche Schutzkleidung mit hochgefährlichen Chemikalien arbeiten, um die Kriegsmaschinerie zu füttern. "Die Dämpfe, die aus den Bottichen aufstiegen, waren tödlich. Zuerst wurde die Haut genauso gelb wie die Chemikalie, dann begann der Zerstörungsprozess", schreibt Marian Filar später als Co-Autor des Buches: "From Buchenwald to Carnegie Hall". Der Schießmeister des Lagers Ernst Staller, ein Zivilist, wird auf den jungen Polen aufmerksam. Er mimt zwar den "Bösen", nimmt ihn aber in seine Obhut. Staller sorgt für leichtere Arbeit. Marians Hände erholen sich.

Als das Kriegsende naht, werden die Häftlinge, darunter auch beide Filar-Brüder, bewacht von der SS auf Transport geschickt. Viele Gefangene sind zu schwach für die Strapazen. Marian und Joel halten durch. Sie werden am 8. Mai 1945 in der Tschechoslowakei von den Amerikanern befreit. Marian Filar setzt seine Studien fort, erhält in Philadelphia eine Professur und gelangt als Pianist weltweit zu Ruhm und Ehre. Seinem Retter Ernst Staller bleibt er in Dankbarkeit verbunden. Als Filar im Winter 1967 in Köln ein Konzert gibt, reserviert er für ihn zwei Karten. "Damals hat mein Vater den großen Künstler zum ersten Mal spielen gehört", weiß Sonja Berger. Sie erinnert sich auch an viele Telefongespräche aus Amerika. Selbst, als Ernst Staller 1969 stirbt, lässt der gefeierte Pianist den Kontakt nicht abreißen. Er schickt Sonja Berger und deren Familie Konzertaufnahmen mit der Widmung: "In Andenken an Ihren lieben Vater Ernst Staller."


Originalaufnahmen aus der Lagerzeit: Der Mann mit Hut im hellen offenen Kittel ist Ernst Staller.

Dass die Seniorin nun mit ihrer Familie Schlieben-Berga besucht, ist einem Fernsehabend geschuldet. Der MDR hat vor einiger Zeit den Film "KZ-Geschäfte und die Außenlager von Buchenwald" ausgestrahlt: "Ich war ganz aufgeregt, weil auch Schlieben-Berga benannt wurde. Als Kind hatte ich meinen Vater gemeinsam mit der Mutter hin und wieder besucht. Wir freuten uns immer auf die gemeinsamen Tage. Über seine Arbeitsstätte sprach er kaum, auch in den späteren Jahren nicht. Erst als der Name Marian Filar erwähnt wurde, erfuhr ich einiges", erzählt Sonja Berger. Ihre Tochter Ina (49) resümiert: "Seit ich selbst Mutter bin, kann ich sein Schweigen besser verstehen. Was dort passiert ist, hat meinen Opa bedrückt. Er wollte uns mit dieser Last verschonen. So geht es vielen. Deshalb werden wohl einige dringende Fragen nie eine Antwort bekommen."

Kontakt gesucht

Ina hatte den Dokumentarfilm ebenfalls gesehen. Schon bald nach der Sendung suchten sie und ihre Mutter Kontakt zur Familie von Jürgen Dannhauer, die sich für den Verein Gedenkstätte KZ-Außenlager Schlieben-Berga engagiert. Ehefrau Margit berichtet: "Auf Anhieb verspürten wir gegenseitiges Interesse: Sie wollten mehr über den Ort wissen, wo der Vater und Großvater gearbeitet hat, und wir ahnten, dass wir manche Recherche-Lücken zur Lagergeschichte mit ihrer Hilfe schließen können. So hörten die Vereinsmitglieder in Schlieben-Berga erstmals die Geschichte von Marian Filar am Telefon.

Vergangenen Freitag reisten Sonja Berger, Tochter Ina, Stieftochter Dagmar und deren Ehepartner Heinz nach Schlieben-Berga. Familie Dannhauer und Jürgen Wolf haben den Besuch gut vorbereitet. Sie nehmen sich viel Zeit. Die Gäste sind beeindruckt von der ehrenamtlichen Arbeit, die in der Gedenkstätte geleistet wird. Sonja bringt Fotos aus dem Nachlass ihres Vaters mit. Jürgen Dannhauer ist begeistert: "Das sind die ersten Originalaufnahmen, die wir sehen." Wenig später beim Rundgang über das Gelände bekennt Sonja Berger sichtlich bewegt: "Ich bin froh, dass mein Vater mutig genug war, inmitten von unglaublicher Gewalt Gutes zu tun. Das ist, als hätte er ein Licht im Dunklen angezündet."

Gabi Zahn
 
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